Stress, der verkannte Herzensbrecher
Von Angela Wolf, Redakteurin im Medienhaus der EKHN
Lange galt das gebrochene Herz als Stilmittel von Poesie und Belletristik. Medizinisch dagegen ist es hoch brisant. Vor allem Frauen können an dem sogenannten Broken-Heart-Syndrom erkranken und sogar daran sterben.
„I gave you my kisses right from the start. I gave you my true love, for I wasn't smart. But you took advantage and broke my heart.“ sangen The Heartbreakers 1964 und wussten sicher nicht, dass ein gebrochenes Herz medizinisch höchste Alarmstufe bedeuten kann. Erst seit den 1990er Jahren weiß man um die somatische Bedeutung eines gebrochenen Herzens. Emotionaler Stress, egal ob positiv, meist allerdings in negativem Sinne, gilt als Auslöser. Der Tod eines geliebten, nahestehenden Menschen etwa. Die Trennung von der großen Liebe. Oder die Nachricht über eine schwere Erkrankung. Aber auch ein Leben in Sorge, etwa aus existentiellen Gründen oder Mobbing am Arbeitsplatz zählen dazu. Nicht nur Liebeskummer lassen Herzen brechen, auch wenn das schöner klingen mag.
Beim Broken-Heart-Syndrom verweigert die linke Herzkammer ihre Pumpfunktion
Das Broken-Heart-Syndrom, auch bekannt als Takotsubo-Syndrom (TTS), kann lebensbedrohlich sein. Die Patientinnen, das Syndrom betrifft im überwiegenden Teil Frauen zwischen dem 50. und 74. Lebensjahr, verspüren ein Engegefühl im Brustkorb, Brustschmerzen, massive Atemnot, haben Schweißausbrüche. Die Symptome gleichen denen eines Herzinfarktes, doch die Gefäße verstopfen nicht. Das Herz bricht auch nicht entzwei. Vielmehr verweigert die linke Herzkammer ihre Pumpfunktion. Im Ultraschall zeigt sie sich ballonartig erweitert und nach oben hin verengt. Die Herzkammer wirkt verkrampft und reduziert ihre Leistung auf 30 Prozent. Damit ist die lebenswichtige Versorgung von Organen bedroht oder ein Herzstillstand droht. Die beiden Kardiologen Jelena-Rima Templin-Ghadri und Christian Templin vom Universitäts-Spital Zürich gelten als Pioniere in der Broken-Heart-Syndrom-Forschung und weißen auf diese Unterscheidungsmerkmale zu einem Herzinfarkt hin.
Bekannt ist auch, dass das Herz im Kopf beginnt zu brechen. Genauer gesagt in der Amygdala, dem Mandelkern des Gehirns. Die Züricher Kardiologen sprechen von einer Hirn-Herz-Assoziation. Der Mandelkern ist für die emotionale Bewertung von Situationen zuständig. Und wie diese verarbeitet werden, scheint einen nicht unerheblichen Einfluss auf das Herz zu haben. Auffällig ist ebenfalls, dass Takotsubo-Syndrom Patientinnen meist eine neurologische Vorerkrankung mitbringen. Depressionen oder Angststörungen beispielsweise spielen bei der Entwicklung von TTS eine entscheidende Rolle. Untersuchungen des Teams rund um Templin zeigen, dass die Aktivität zwischen den Hirnregionen, die für die Verarbeitung von Emotionen zuständig sind, reduziert arbeitet. Der Mandelkern ist meist verkleinert, hohe Werte der Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin lassen sich im Blut nachweisen.
Überproportional häufig sind Frauen nach der Menopause betroffen
Was inzwischen zur Besorgnis mahnt, so die US-amerikanische Kardiologin Susan Cheng, ist, dass die Zahl derjenigen Menschen stetig ansteigt, die an einem Syndrom des gebrochenen Herzens erkranken. Überproportional häufig sind Frauen nach der Menopause betroffen. Die Covid-Pandemie, die Klimakrise, zunehmende Armut, Krieg, Inflation – schlechten Nachrichten, unsichere Zeiten und ein Mangel an Resilienzfähigkeit setzen vielen zu. Der Stresspegel steigt, physisch und psychisch. Insbesondere Frauen sind betroffen und die geschlechterspezifische Medizinforschung zeigt, dass es einen Zusammenhang zwischen psychischer Gesundheit und möglichen Erkrankung des Herzens gibt. "Wahrscheinlich gibt es kurz nach der Lebensmitte einen Wendepunkt, an dem sich eine übermäßige Stressreaktion auf das Herz auswirken kann", so Cheng. Die Direktorin des Barbra Streisand Women's Heart Center für kardiovaskuläre Gesundheit und Bevölkerungswissenschaft von Frauen diagnostiziert, dass Frauen in dieser Situation besonders betroffen seien, und das Risiko scheint zu steigen.
Insgesamt geht es um den Lebenswandel und um die Lebensumstände der westlichen Welt. Eine überwiegend schlechte Ernährung, ein Mangel an Bewegung, das Hetzen von Termin zu Termin. Leistungsdruck, Existenzdruck, die latente Angst, in prekäre Lebenslagen zu geraten. Frauen bewegen sich in patriarchal geprägten Gesellschaften überdurchschnittlich am Limit. Laut der statistischen Erhebung „Mikrozensus“ von 2019 sind Frauen aller Altersgruppen einem höheren Armutsrisiko ausgesetzt als Männer das sind. Eine Studie der Universität zu Köln ergab, dass Frauen in der Bundesrepublik im Schnitt 46 Prozent weniger Rente erhalten als Männer. Diese sogenannten Gender Pension Gap ist die höchste unter den 38 OECD-Staaten, den Staaten also, die innerhalb der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit zusammengeschlossen sind. Besonders die Altersarmut unter den hochbetagten, 80 Jahre und älter, ist weiblich.
Viele Gemeinden gewähren Einzelfallhilfe in besonders schwierigen Situationen
Was kann Entlastung schaffen? Strukturelle Veränderungen, wofür sich auch die Kirche einsetzt. Die Liga der Freien Wohlfahrtspflege in Hessen e.V. beispielsweise, zu der auch die Diakonie Hessen gehört, vertritt die Interessen hilfsbedürftiger Menschen gegenüber der Politik und gesellschaftlichen Akteuren wie etwa der Krankenkassen. Sie macht durch Stellungsnahmen, Kampagnen und Aktionen auf soziale Missstände in der Gesellschaft aufmerksam und versucht damit, diesen entgegenzuwirken.
Aber auch im Kleinen gibt es Angebote zur Hilfe: viele Gemeinden gewähren Einzelfallhilfe in besonders schwierigen Situationen. Das breite Angebot der Diakonie – ob bei der Schuldnerberatung, den vielen ehrenamtlichen Sozialberatungen oder dem Kurs für das Achtsamkeitstraining – kann den Druck nehmen, kann erste Entlastung verschaffen. Allein das Gefühl, mit seinen Nöten, Sorgen und Ängsten ernst genommen zu werden, reduziert Stress.
Stress kann töten
Stress war lange das Synonym für Leistung und implizierte soziale Anerkennung. Wer Stress hat, ist busy. Stress ist chic und sexy. Stress, und das zeigen die steigenden Inzidenzen der Betroffenen des Broken-Heart-Syndroms, kann töten. Stress bricht uns das Herz und mit Romantik hat das wenig zu tun. Zu diesem Schluss würden The Heartbreakers heute sicherlich auch kommen.
Die Forschungen zum Syndrom des gebrochenen Herzens, dem Takotsubo-Syndrom, stehen erst am Anfang. Bisherige Erkenntnisse sind aufschlussreich und geben sicherlich Anlass zu Veränderungen, steht die eigene Gesundheit im Fokus. Die Frage von Gesundheit ist allerdings, und das ist entscheidend, keine individuelle, sie ist vielmehr eine strukturelle. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gab bei ihrer Gründung die Prämisse preis, dass jeder Mensch ein Recht auf Gesundheit habe. Sie definiert in ihren Statuten, dass Gesundheit nicht die Abwesenheit von Krankheit sei. Gesundheit sei vielmehr fundamental zu verstehen und gilt als Menschenrecht. Stress macht krank und beraubt viele ihrem Recht auf Gesundheit und damit auf ein unbeschwertes Leben.
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