Still werden
Mit dem Herzensgebet in Kontakt zu Gott kommen
Das Herzensgebet oder Jesusgebet ist in der Regel kurz, das heißt, es hat nur wenige Worte. Es geht vor allem um Stille und Kontemplation.
Von Renate Haller
Oftmals nur zwei Worte, bei manchen sogar nur eins. Das Herzensgebet ist kurz, bietet aber eine ganzheitliche Erfahrung. „Es geht darum, still zu werden und zu hören, sich Gott zu überlassen und sich seiner Gegenwart bewusst zu werden“, sagt Heinke Willms, Pfarrerin zur Förderung der Einkehrarbeit in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. Das sei etwas anderes, als die eigenen Anliegen vor Gott zu bringen.
„Viele Protestanten verstehen das Gebet, gemäß ihrer religiösen Erziehung, in erster Linie als ein Sprechen zu und mit Gott. Dass es neben dieser guten und nützlichen Gebetsweise noch andere Arten des Gebets gibt, die stärker auf Stille und das innere Hören ausgerichtet sind, beginnen wir, wie Søren Kierkegaard, erst wiederzuentdecken“, schreibt Pfarrer Thomas Müller, Referent für Geistliches Leben im Zentrum Verkündigung der EKHN, in dem Heft „Impuls Gemeinde – Spiritualität leben“ („Das Gebet des Herzend“; 1/2022). Er sieht Kierkegaard auf dem Weg zum kontemplativen Gebet und zitiert den dänischen Theologen und Philosophen mit den Worten: „Beten heißt nicht, sich selbst reden hören, beten heißt still werden und still sein und warten bis der Betende Gott hört.“
„Gott ist da. Gottes Atem durchströmt mich.“
Seine Wurzeln habe das Gebet bei den Wüstenvätern, berichtet Willms. „Betet ohne Unterlass“, heißt es in der Bibel (1. Thessalonicher 5,17). Möglich war das mit kurzen Stoßgebeten, bestehend etwa aus einzelnen Psalmversen. In der Tradition des blinden Bartimäus, der Jesus um Hilfe bat, lautete das Gebet später „Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme dich meiner.“ (Markus 10, 46f). Später wurden diese Worte mit dem Atem kombiniert. Die ersten vier Worte, erklärt Pfarrerin Willms, spricht man beim Einatmen, den Rest beim Ausatmen. Die ganzheitliche Erfahrung dabei sei: „Gott ist da. Gottes Atem durchströmt mich.“ Das sei etwas anderes, als Dinge nur mit dem Kopf wahrzunehmen. Die wenigen Worte sollen helfen, zur Ruhe zu kommen und das Gedankenkarussell zum Stillstand zu bringen.
Im 19. Jahrhundert, so Willms, habe das Herzensgebet eine Renaissance erfahren. Heute gebe es vielfältige Formulierungen: Liedverse, ein Psalm, ein einfaches Shalom. Franz Jalics, der im vergangenen Jahr verstorbene katholische Ordenspriester und Autor geistlicher Bücher, empfahl die elementare Verkürzung auf den Namen Jesus Christus. Christus beim Ein-, Jesus beim Ausatmen.
Heinke Willms etwa betet: „Du gibst mir Atem. Ich vertraue Dir.“ Für sie sei das eine gute Art, den Tag zu beginnen. Man müsse es üben, damit es gut abrufbar ist. Ihr habe es beispielsweise schon geholfen, vor wichtigen Gesprächen wie etwa bei einer Bewerbung, ruhig zu werden und sich Gottes Gegenwart bewusst zu sein. Das sei eine Erfahrung, die mal leichter, mal schwerer zu machen sei. Es komme auch nicht jedes Mal zu einer Gotteserfahrung, „aber ich halte einen Raum dafür frei“, sagt sie, fügt aber hinzu: Das Herzengebet sei nicht zum „Verzwecken“ geeignet, nichts, bei dem eigene Erwartungen automatisch erfüllt werden.
Das Herzensgebet ist keine Alternative zum Beten
Kommt es bei der Wiederholung der Worte aber zu einer Gotteserfahrung, so Thomas Müller in dem Heft „Impuls Gemeinde“, „kann das Herzenswort verstummen, etwa so wie ein Adler bei guter Thermik seine Flügel nicht mehr bewegen muss, sondern getragen wird von dem Auftrieb der warmen Winde“. Erst wenn dieser Auftrieb ende, müsse der Adler die Flügel wieder bewegen. Für das Herzensgebet bedeute dies, das Herzenswort zu wiederholen, wenn die störenden Gedanken zurückkommen.
Das Herzensgebet sei allerdings keine Alternative zum Beten mit vielen Worten, sondern eine Ergänzung oder einfach eine andere Art zu beten, betont Willms. Verknüpft sei es oft mit einer kleinen Körperwahrnehmung zu Beginn. Wie sitze ich? Wie fühlen sich Füße, Beine und Arme an, um dann die Aufmerksamkeit auf den Atem zu legen. Manche praktizierten das zehn Minuten, andere eine Stunde lang.
Die Seelsorgerin ermuntert dazu, das Herzensgebet in einer Gruppe einzuüben. „Das Schweigen der Anderen kann mich tragen“, beschreibt sie. Mitunter tauchten Fragen auf, für deren Beantwortung eine versierte Begleiterin oder ein Begleiter wichtig sei.
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