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Mit dem Herzen beten

Herzensgebete

Von Andrea Seeger

„Der Leib, insbesondere das Herz spielt für die Vorgänge des Glaubens eine wichtige Rolle“, sagt Thomas C. Müller, Referent für Geistliches Leben im Zentrum Verkündigung der Evangelischen Kirche von Hessen und Nassau (EKHN). „Es ist der Raum, in dem der Geist wirksam werden kann“, sagt Müller. Er möchte das Wort nicht gegen den Leib aufrechnen, es gehöre beides zusammen. Müller war viele Jahre Prediger am Berliner Dom. Dort hat er den Bereich Glaubensbildung und Christliche Spiritualität aufgebaut, bis er dann im vergangenen Jahr ins Zentrum nach Frankfurt wechselte.

Einzelne Psalmverse und Bibelzitate als kurze Stoßgebete

Dem Gebet des Herzens, auch Jesus-Gebet genannt, will der Theologe auch in der Evangelischen Kirche zu neuem Ansehen verhelfen. Die Historie beschreibt er so:

Seinen Ursprung hat diese Form im frühen Christentum, in der Gebetspraxis der Wüstenväter und Wüstenmütter. Sie fragten sich, wie sie der Aufforderung des Paulus „Betet ohne Unterlass“ (1. Thessalonicher 5,17) nachkommen könnten. So begannen sie, einzelne Psalmverse und Bibelzitate als kurze Stoßgebete zu wiederholen. Neben der Wiederholung von Psalmversen wurde es im Rückgriff auf den Ausruf des blinden Bartimäus, der Jesus um Heilung anrief (Markus 10,46f), gängige Praxis, den Namen Jesu in dem Gebetsvers „Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme dich meiner“ anzurufen.

In der weiteren Entwicklung verband sich der Gebetsvers mit dem Atem. So wurde der ganze Leib in das Gebet einbezogen. Ziel des Gebets war nun nicht mehr, ein bestimmtes Gebetsanliegen vor Gott zu bringen, sondern der Gegenwart Gottes gewahr zu werden. Der Gebetsvers, das Herzenswort, wurde zur Hilfe, sich selbst aus der Zerstreuung der Gedanken einzusammeln und der Sehnsucht des Herzens, der Sehnsucht nach Gott, eine Richtung zu geben.

Heute wird das Herzensgebet in den christlichen Kirchen auf vielfältige Weise weitergegeben. Die Auswahl der empfohlenen Herzensworte ist größer geworden – entsprechend der Pluralität unserer Zeit. Nicht alle können ganz frei von negativen Konnotationen das Wort „Herr“ oder „Erbarme dich meiner“ sprechen. Der Pionier des Herzensgebetes in Deutschland, Franz Jalics, empfiehlt eine Beschränkung des Herzenswortes auf das Elementare Jesus Christus: beim Einatmen wird innerlich Christus gesprochen, weil Christus der Auferstandene und in den Himmel Aufgefahrene ist, beim Ausatmen Jesus, denn der Mensch Jesus gab sich hin, er verströmte sich. Auch Worte wie „Schalom“ oder der Vers „Ich in dir, du in mir“ aus Gerhard Tersteegens Lied "Gott ist gegenwärtig" sind gebräuchlich.

Geistliche Übungen sind unerlässlich, damit der Glaube im Leben Gestalt gewinnt

Beim Herzensgebet gehe es darum, sagt Müller, sich in die Gegenwart Gottes einzuüben. Das brauche Zeit. Es seien nicht gleich Gotteserfahrungen zu erwarten. Im Gegenteil, je mehr man etwas mit diesem Gebet bezwecken wolle, desto weniger werde sich das Gewünschte einstellen. Am Anfang würden Betende eher erleben, dass sie mit ihren abschweifenden Gedanken zu kämpfen hätten, die in ihren Köpfen wie Affen in den Bäumen herumsprängen.

Für Müller sind geistliche Übungen unerlässlich, damit der Glaube im Leben Gestalt gewinnt. Dazu gehören unter anderem auch Meditation, Pilgern, meditativer Tanz, Exerzitien, Handauflegen, Segnungs- und Salbungsgottesdienste, Abendspaziergänge und natürlich das Abendmahl. „Beziehung wird über Berührung erfahrbar“, sagt Thomas C. Müller. Er macht keinen Hehl daraus, dass er mehr davon begrüßen würde.

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